Die richtige Ernährung machts

Fortsetzung des Vergleichs "Ayurveda & Hildegard von Bingen"

Interessant ist auch Hildegard von Bingens Beschreibung des Magens und seiner Verdauungsstörungen. "Der Magen ist im menschlichen Körper dafür geschaffen, dass er alle Speisen aufnimmt und verdaut. Er ist zäh und auf der Innenseite ziemlich faltig, damit er Speisen zum Verdauen zurück halten kann ... Wenn aber einmal manche Menschen zu viele Speisen zu sich genommen haben, und zwar rohe, ungekochte, halbgare und übermäßig sowie außerordentlich fette und schwere oder trockene und saftlose, dann können Herz, Lunge und sonstige Wärme im Menschen dem Magen kein so großes und so starkes Feuer geben, dass diese Speisen gar werden könnten."


Auch im Ayurveda wurde die Struktur des Magens bereits vor der Niederschrift erkannt. Der dort stattfindende Prozess wird mit dem Verdauungsfeuer "Agni" beschrieben, das je nach Konstitution unterschiedlich beschaffen ist, und für die Verdauung unserer Nahrung verantwortlich ist. Ayurveda empfiehlt warme, gekochte Speisen zu verzehren, um es dem Verdauungsfeuer einfacher zu machen. Einzig Pitta, der ein von Natur aus sehr starkes Verdauungsfeuer besitzt, ist in der Lage Rohkost wirklich zu verarbeiten. Ist der Mensch jedoch krank, ist das Verdauungsfeuer - auch bei Pitta - geschwächt und die Nahrung kann nicht richtig verarbeitet werden.  

 

Hildegard von Bingen beschreibt auch die Konsequenzen: sich wie ein faulender Misthaufen über den Körper verteilende schädliche Säfte und schlimmer Gestank sowie schlimmer Rauch, wie von einem angezündeten grünen, nassen Holz. In der Folge von Krankheiten würde der Körper bei zu viel unrechter Hitze die verzehrten Speisen durch und durch verbrennen, so dass keine Nährstoffe aufgenommen werden können. Bei zu viel Kälte könnten die Speisen nicht verdaut werden, so dass sie verklumpen und gerinnen und auf diese Weise im Menschen verbleiben und ihm Schmerzen bereiten. Über das übermäßige Trinken beim Essen schreibt sie, dass es zu einer schlimmen, stürmischen Überschwemmung führe, "so dass die guten Säfte in ihm ihre Wirkung verlieren."


Im Ayurveda wird beschrieben, dass ein zu hohes pitta-dosha in Form von zu viel Hitze zu einer Auszehrung des Körpers führt, weil auch die Nährstoffe aus der Nahrung verbrannt werden und dem Körper somit nicht zugeführt werden können. Herrscht dagegen ein zu geringes Feuer durch ein Übermaß an Kälte, die sowohl vata als auch kapha eigen ist, werden die Speisen nicht angemessen für die Nährstoffaufnahme "gekocht". Es entsteht ama, was wörtlich übersetzt "ungekocht" heißt und im weitesten Sinne mit Schlacken übersetzt werden könte, welche sich in die Leerräume des Körpers setzen und diese Verstopfen. Dazu gehören unter anderem Kanäle (srotas), die wir im Verdauungstrakt ebenso finden, wie im Blutkreislauf, den Nervenbahnen usw. In der Folge kommt es gemäß dem Ayurveda zu Verstopfungen, und die Zirkulation von Körpersäften kann nicht mehr stattfinden. Prozesse werden gehämmt oder sogar verhindert. Es entstehen Krankheiten bis hin zu Geschwüren. 

 

Hildegard von Bingen hat konkrete Empfehlungen für eine gesunde Ernährung formuliert: "Wenn ein Mensch nüchtern ist, soll er zuerst eine Speise essen, die aus Früchten und Mehl zubereitet wurde, weil das Essen trocken ist und dem Menschen gesunde Kraft schenkt. Er soll auch zuerst ein warmes Essen zu sich nehmen, damit sein Magen warm wird, und kein kaltes Essen; denn wenn er zuerst ein kaltes Essen zu sich nimmt, macht er dadurch seinen Magen kalt, so dass er später kaum mehr durch warme Speisen warm werden kann. Er soll zuerst ein warmes Essen zu sich nehmen, bis sein Magen gut durchgewärmt wird. Wenn er dann eine kalte Speise isst, verkraftet die Wärme, die seinen Magen durchzieht, die nachfolgende Kälte im Essen."


Der Ayurveda empfiehlt ebenso den Start in den Tag mit einem warmen Essen. Sehr bekannt sind die Getreidebreis und gedünstete Früchte. Wie trocken oder feucht das Mahl in der Konsistenz sein sollte, macht der Ayurveda von der Konstitution abhängig. Es gibt Variationen mit frisch gebackenen Waffeln oder Pfannkuchen ebenso wie einfach eine warme Milch mit verschiedenen Gewürzen. Gemäß der Konstitution des Menschen werden im Ayurveda anregende Gewürze empfohlen, um Morgens den Körper und das Verdauungsfeuer in Schwung zu bringen, was beispielsweise für einen Menschen mit ausgeprägtem kapha-Anteil sehr wichtig sein kann. Dann ist ein wenig Chilli oder Pfeffer im Frühstück angeraten. Allerdings kann es für einen Pitta-Menschen im Hochsommer auch heilsam sein, morgens frische Früchte zu verzehren.


Der Ayurveda hat erkannt, dass die Elemente nicht nur in den Menschen unterschiedlich vorhanden sind, sondern auch in den Tages- und Jahreszeiten. So herrscht morgens kapha vor, über den Mitittag pitta und nachmittags/frühabends vata. Dieser Rhythmus wiederholt sich in der Nacht. In den Jahreszeiten finden wir kapha vor allem im Frühling und dann noch einmal am Beginn des Herbstes im September, wenn es viel regnet. Die Sommermonate von Mai bis August sind durch pitta dominiert, während vata im Herbst und Winter vorherrscht. Betrachtet man diese Erkenntnisse, erschließt sich sehr leicht, warum ein Mensch mit hohen kapha-Anteilen im Frühling besonders auf ein anregendes Frühstück und möglichst anregende Morgenrituale achten sollte, und warum ein pitta-Mensch in den Mittagsstunden des Sommers auf ausreichend Kühlung achten sollte.


Es gibt also viele Gemeinsamkeiten in den grundlegenden Ansichten als auch in kleinen Dingen. Was der Ayurveda unserer Naturheilkunde - vor allem jener Heilkunde von Hildegard von Bingen - meines Erachtens voraus hat, ist dass er nicht für Jahrhunderte verschüttet war, sondern permanent angewandt und weiter entwickelt wurde. Er wurde gelebt.